1989: Jesus Christ Superstar

Grandioser Beifall für „Jesus Christ Superstar“

Vier Zugaben – und eine Aufführung, wie man sie in Rendsburg leider nicht alle Tage erlebt

Rendsburg (gs). Mittwoch, 10. Mai 1989, 20.00 Uhr. Enttäuschung auf den Gesichtern der zuletzt Gekommenen: Der Saal der Rendsburger Herder-Schule ist überfüllt. Aus feuertechnischen Gründen dürfen keine zusätzlichen Stühle auf die Gänge gestellt werden – dabei ist heute die vorerst letzte Aufführung der Rock-Oper „Jesus Christ Superstar“ mit Schülerinnen und Schülern des Helene-Lange-Gymnasiums zu sehen. Viele Besucher sind erst durch die lauffeuerartige „Mund-zu-Mund-Propaganda“ hierher gelockt worden und wollen sich den Augen- und Ohrenschmaus nicht entgehen- lassen. Feuerwehr und Schulleitung haben ein Einsehen: Alle dürfen hinein, auch wenn’s nur noch Stehplätze gibt.

Und dann geht es los: Akustische Gitarre, E-Gitarre, Baß, Schlagzeug, Klavier, Keyboards (u. a. als Ersatz für die Streichinstrumente) und Trompete spielen die nun schon fast 20 Jahre alten Stücke des Komponisten Andrew Lloyd – Webber, der den meisten Lesern wohl hauptsächlich durch das Stück „Don t cry for me Argentine aus der Oper „Evita“ bekannt sein dürfte.

Rock, Soul, romantische FlowerPower-Musik und ein bischen Underground mit kritischen Texten – neu entdeckte Überbleibsel einer vergangenen Jugendkultur, die sich zum Zeichen ihrer Hoffnungen Blumen ins lange Haar steckte.

Auf der Bühne herrscht ein farbenprächtiger, dennoch nicht chaotisch erscheinender Wechsel von Figuren, Kostümen und fast schon professionell zu nennenden Tanz- und Gesangdarbietungen, der durch das Zusammenspiel von Musik, Chorgesang, Farbe, Bewegung und der hochaktuellen Bedeutung der einzelnen Szenen der Geschichte des Jesus von Nazareth beim Zuschauer oft eine „Gänsehaut“ entstehen lässt. So beispielsweise bei „The Temple“: Im Tempel Jerusalems treiben Geldverleiher und Kaufleute einen schwunghaften Handel, ein „Gauner“ öffnet seinen Mantel und bietet gestohlene Taschenrechner und Uhren zum Kauf an. Die Musik hält sich zu diesem Zeitpunkt fast monoton im Hintergrund; die Bühnensequenz erscheint dem Zuschauer dadurch wie eine kleine Ewigkeit – dann plötzlich stürmt Jesus ohne Vorwarnung in das Gemenge und stürzt den Tisch, über den die Waren ihren Besitzer wechseln, nach vorne um. In diesem Moment vollzieht auch die Musik einen fantastischen Umbruch; Jesus vertreibt die Händler, weil sie das Haus Gottes entweihen. Der Schockeffekt ist gelungen. Im Anschluss daran folgt eine Szene, in der sich Kranke und Aussätzige zu dem am Boden sitzenden Jesus begeben, um von ihm geheilt zu werden: Alles Leid der Welt kommt in den Bewegungen der Krüppelfiguren zum Ausdruck, treibt so manchem Besucher Tränen in die Augen und weckt das alte Gefühl, dass etwas auf dieser Erde getan werden muss. Jesus ist in dieser Rock-Oper jedoch kein überirdischer Heiliger, sondern ein Mensch; ein Ur-Christ, der den Krüppeln nicht mit göttlichen Wundern helfen kann. Sein Leid erscheint darauf umso ausdrucksvoller. Nie fehlt es in dieser Inszenierung an aktuellen Bezügen; König Herodes ist ein „cooler Yuppie“ mit Hawaii-T-Shirt und Sonnenbrille, der sich am Swimming-Pool mit seinen Mätressen herumlümmelt und sich bei Ragtime-Musik (Die Tänzer sind nach Mode der 20-Jahre gekleidet) über Christus lustig macht.

Es mag bei den insgesamt vier Aufführungen einige kleinere Pannen gegeben haben; die künstlerische Leistung, die die über hundert Mitwirkenden in einer entbehrungsreichen Arbeitszeit von fast zwei Jahren auf die Bühne gebracht haben, ist wirklich in den höchsten Tönen zu loben. Schade nur, dass der Abiturstress vieler Darsteller vorerst keine weiteren Vorstellungen zulässt. Der Applaus, vier Zugaben und ein riesiger Korb mit roten Rosen für alle Mitwirkenden sprechen für sich.